Studium EKIW ®

Rundbrief Januar 2008

Das Leben als Schule

Margarethe Randow-Tesch

Jeder in der Welt erlebt Phasen mit frustrierenden, schmerz- und angstbesetzten Ereignissen, und Zeiten, in denen das Leben scheinbar leichter dahinläuft und wir das bekommen, was wir wollen. Als psychophysische Wesen versuchen wir, so gut es geht, Schmerz zu vermeiden und Glück zu erleben, wie wir es definieren. Im Kurs heißt es dazu:

Du begreifst ebenso wenig, was schmerzhaft ist, wie du erkennst, was Freude bereitet, und neigst in der Tat sehr dazu, beides zu verwechseln … solange du Zweifel darüber hegst, was du bist, wirst du Freude und Schmerz verwechseln (T-7.X.3:4,6).

Der Kurs bietet uns eine Art Vogelperspektive, aus der heraus wir das Wesen unseres Daseins in einem größeren Zusammenhang verstehen, und dabei werden wir gelehrt, dass es nur eine verlässliche Freude gibt, und diese ist für alle gleich: das Leben als Schule der Vergebung zu betrachten. Wenn uns das einleuchtet, verschiebt sich unsere Zielsetzung: Wir richten unser Augenmerk verstärkt auf unsere innere Haltung und verwenden das Äußere als Anlass und Rahmen für die innere Arbeit. Aus dieser Sicht gibt es nichts Schlechtes und nichts Gutes, sondern nur Lernstoff. Wir können den Lernstoff annehmen oder wie kleine trotzige Kinder gegen ihn protestieren. Wir können eine andere Form im Äußeren wählen, die uns scheinbar weniger ängstigt, doch der Lernstoff bleibt immer derselbe, mit sämtlichen Menschen, unter sämtlichen Umständen, in jedem Beruf: »Nichts Äußeres hat Macht über den Frieden unseres Geistes. Nichts Äußeres kann uns diesen Frieden geben oder nehmen.« Um das zu lernen, müssen wir geduldig viele (manchmal frustrierende) Klassen der Selbstbeobachtung durchlaufen, ohne uns innerlich zu bekämpfen und zu beurteilen. Unser Lernen muss mit der ehrlichen Feststellung beginnen, dass wir oft keinen Frieden, sondern Besonderheit wollen, und dass Besonderheit schmerzt.

In Dostojewskis faszinierender Erzählung »Der Großinquisitor«, einer Gegenüberstellung von dogmatischer Religion (Großinquisitor) und lebendiger Liebe (Jesus), steht unter anderem der Satz: »Der Mensch ist zum Empörer geschaffen: können Empörer glücklich sein?«, der auf die verborgene Egohaftigkeit und den Wunsch nach Konflikt in jedem anspielt.

Im Kurs findet sich dazu eine Parallele in einer Stelle, in der unser Leben in der Welt als Protest gegen die Wirklichkeit beschrieben wird: als Egotraum der Besonderheit, den wir der Wirklichkeit vorziehen, in der es keine Trennung, keine Besonderheit, sondern nur unterschiedslose Liebe gibt:

Träume sind Wutausbrüche der Wahrnehmung, in denen du buchstäblich schreist: »Ich will es so!« Und so scheint es zu sein. Und dennoch kann der Traum seinem Ursprung nicht entrinnen. Ärger und Angst durchziehen ihn und im Nu dringt in die Illusion der Befriedigung die Illusion des Schreckens ein (T-18.II.4:1-2).

In diesem schmerzhaften Traum des Ego protestieren (oder resignieren) wir weiter: gegen Sinnlosigkeit, ungerechte Bedingungen, ungerechte Menschen und ungerechte Zustände, die uns den Frieden rauben, und schlagen daraus Trennungs- und Unschuldskapital: »Gut, dass ich bin, aber gut, dass ich nicht so bin.«

Warum ist es so wichtig, diesen inneren Empörer – den »Geist, der stets verneint« – aufzuspüren, der hinter jedem Menschen steckt? Weil wir uns unbewusst mit ihm identifizieren und durch noch mehr Trennung Freiheit für ihn, statt Freiheit von ihm suchen. Es gibt jedoch keine Freiheit in der Besonderheit: »Der Traum kann seinem Ursprung nicht entrinnen. Ärger und Angst durchziehen ihn und im Nu dringt in die Illusion der Befriedigung die Illusion des Schreckens ein.« Ein auf Befriedigung der Besonderheit hin gelebter Tag (»Ich will es so, und die Welt möge es mir geben!«) verstärkt die Angst, ganz gleich, wie erfolgreich oder erfolglos er nach außen hin erscheinen mag.

Der Kurs lehrt uns, dass es nur eine Freiheit gibt: die des liebenden Geistes, der im Traum der Trennung nicht mitspielt, während wir auf der Ebene des Körpers unsere normalen Rollen im großen Schauspiel auf der Bühne der Welt weiterspielen. Der Wunsch, diese Freiheit zu haben und zu bewahren, wird zur großen Motivation, noch einmal zu wählen und dann noch einmal, sobald wir uns wieder in die Rolle verstricken. Wir üben uns darin, unsere Aufmerksamkeit immer wieder zu justieren, während wir gleichzeitig normale Menschen bleiben und ein normales Leben führen. Wenn wir diese Haltung im Alltag kultivieren und immer wieder gegen das Vergessen angehen, wird dieses Leben zu einer sehr instruktiven und konstruktiven Schule.

Außer als Religionskritik könnte man die Begegnung zwischen dem Großinquisitor und Jesus auch als Gleichnis für die Diskrepanz von Falschgesinntheit und Rechtgesinntheit im Inneren eines jeden lesen. Auf die Anklagen und die Selbstrechtfertigung des Vertreters des Ego schweigt Jesus voller Mitgefühl, und das verunsichert den alten Mann zutiefst: »Der Greis möchte, dass Er ihm ein Wort nur sage, ein stolzes meinetwegen, ein furchtbares.« Doch Jesus geht nicht auf die Anklagen ein, er urteilt nicht, argumentiert nicht, wird nicht zornig. Stattdessen drückt er dem Greis am Schluss ganz sanft einen Kuss auf seine blutleeren Lippen. Er liebt einfach, und in dieser Liebe erinnert er den in Schuld erstarrten Großinquisitor schweigend daran, dass ihm für seine schmerzhaften Machtträume vergeben ist und auch er Teil des Einen ist. Und dann lässt er ihm die Freiheit, sich zu entscheiden. Das ist der andere Inhalt, den jeder Traum hier haben kann.

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